Donnerstag, 17. März 2016

„Wir sind viele, doch du weißt nicht wer; wir sind überall, doch du weißt nicht wo“ - Anonymous

Immer wieder tauchen sie in den Medien auf. Ihr Markenzeichen sind die dem britischen Widerstandskämpfer aus dem Comic nachempfundenen Guy Fawkes-Masken. Kennzeichnend sind ihre düster und dystopisch wirkenden Videos, in welchen sie sich an die Bürger oder an Institutionen und Firmen wenden. Sie sind keine Hacker, sie sind nicht einmal eine Gruppe, sie sind streng genommen ein Kollektiv.
Anonymous sagt von sich selbst, sie seien eine Lebenseinstellung, ein Gedanke, eine Idee. Anonymous ist Meinungsfreiheit. So zumindest beschreibt sich Anonymous auf einer ihrer vielen Webseiten namens: du-bist-anonymous.de. Sie treten für Meinungsfreiheit und soziale Gerechtigkeit ein, legen sich mit Regierungen und Drogenkartellen und nicht selten auch mit Großkonzernen an.

Doch wer hinter den Masken steckt, bleibt oft geheim. Zwar werden immer wieder vermeintliche Hacker festgenommen, jedoch stellen einzelne Verhaftungen keine Gefahr für das Phänomen „Anonymous“ dar, denn sie sind „nicht eins sondern viele“ (Felix Stalder: Schwärme - Anonymous und die Rebellion im Netz).

Sie sind eine Gruppe von Schwärmen, die sich gegenseitig verstärken und letzten Endes als einziger Schwarm agieren, wobei Uneinigkeit und Hierarchien trotz der explizit anarchischen Struktur auftreten. Der starke Auftritt des Kollektivs schürt immer wieder Angst. Gleichzeitig wächst die Gruppe derer, die Anonymous als Helden wahrnehmen.

Entstehung

Über die genaue Entstehung des Kollektivs ist nur wenig bekannt. Seinen Ursprung hat Anonymous in den Tiefen des Internets, auf so genannten Imageboards. Genauer gesagt 4chan.org. Vermutlich rührt auch der Name des Kollektivs von diesen Imageboards, auf welchen alle User, die Bilder hochladen aber ihren Namen nicht verraten wollen, als „Anonymous“ bezeichnet werden. Aus diesen Einzelbezeichnungen für User wurde nach und nach die kollektive Identität „Anonymous“.

Bilder, die nicht unmittelbar Feedback bekommen, rutschen im Ranking immer weiter nach unten und werden schlussendlich gelöscht. Dadurch wurde es nötig, Ideen und Grundgedanken, die auf breite Zustimmung stießen, durch wiederkehrende Re-Postings zu erhalten. Nach und nach bildete sich so eine Gruppe von Usern mit den gleichen Einstellungen und Zielen.

Allgemein gilt 4chan als anarchisches Webforum. Auf dieser Website, die nicht selten als das „Dunkle Herz des Internets“ (Ole Reißmann, Christian Stöcker und Konrad Lischka: Anonymous Ursuppe 4chan: Das dunkle Herz des Internets) bezeichnet wird, hat sich Anonymous zusammengefunden. Abgeschirmt von der Außenwelt in einem Forum, in dem durch Anonymität gesellschaftliche Tabus gebrochen werden konnten und können.

Struktur

Anonymous ist eine lose Verbindung von Usern der verschiedensten Imageboards und Foren sowie Plattformen. Eine Führung im herkömmlichen administrativen Sinne existiert nicht. Viel mehr sind es kleine Gruppen, die über bestimmte festgelegte Abstimmungsprozesse Entscheidungen treffen.

Das Kollektiv ohne Führung lehnt das Prinzip der Repräsentation ab und steht somit im direkten Gegensatz zu den politischen Systemen, denen sie sich widersetzen. Anonymous widersetzt sich also der Logik der etablierten politischen Institutionen und macht dadurch deutlich, dass sie sich klar distanzieren von bestehenden Systemen. Niemand kann Anonymous beitreten, denn Anonymous ist weder eine Organisation noch ein Verein. Viel mehr ist Anonymous ein Zusammenschluss.

Geführt und gebildet wird das Kollektiv vom so genannten Schwarm. Der Schwarm ist eine lose Verbindung von Usern (unabhängigen Individuen), die sich vorübergehend in einer Gemeinschaft mit simplen Regeln horizontal organisieren. Laut dem Chef der schwedischen Piratenpartei besteht also die einzige Kunst der Führung darin, die Teilnehmer, die hoffen, etwas Wichtiges verändern zu können, zum Handeln zu inspirieren.

Wie stark ein Schwarm ist, hängt von der Anzahl der Teilnehmer ab und deren individuellen Bemühungen. Für die Entstehung einer solchen Gemeinschaft gibt es drei Voraussetzungen: ein Versprechen, die Mittel und eine Vereinbarung.

Das Versprechen stellt den Auslöser zum Handeln für die einzelnen Individuen dar. Wichtig ist dabei, dass dieses Versprechen für die Mitglieder relevant ist und vor allem erreichbar scheint. Alles Wichtige sowie Entscheidungen werden über die zahlreichen Foren wie 4chan oder auch Chats und Wikis besprochen bzw. getroffen.

Gleichzeitig findet hier die wichtige dauerhafte Kommunikation zwischen den Mitgliedern statt. Anonym, versteht sich. Das Akzeptieren der Vereinbarung stellt den Eintritt in das Kollektiv dar. Da solche Schwärme kurzfristig ihre Richtung ändern, wachsen oder ihre Einstellung ändern können, sind diese sehr kurzlebig. Deshalb kommt bei Anonymous ein vierter wichtiger Faktor hinzu, der die Stabilität der Schwärme sichert: Ein gemeinsamer Horizont.

Laut dem Kulturkritiker Brian Holmes erlaubt dieser gemeinsame Horizont eben diesen individuellen losen und verstreuten Mitgliedern, sich als Teil eines gemeinsamen Universums und Systems von Bezügen und Vorstellungen zu identifizieren. Wie sieht dieser gemeinsame Horizont aus? Er ist das gemeinsame Bekenntnis zur Meinungsfreiheit und das tiefe Misstrauen gegenüber allen Institutionen und Autoritäten, die diese Freiheit einschränken wollen.

Wie kann man sich Anonymous also vorstellen? Das Kollektiv ist eine sich in Wechselwirkung verstärkende Serie von Schwärmen. Dabei agieren die Schwärme unabhängig voneinander. Gemeinsam ist ihnen aber der gemeinsame Horizont und dieselbe offene Identität, unschwer zu erkennen an den Masken, die in der Öffentlichkeit getragen werden. Man könnte das Kollektiv fast mit Guerillas vergleichen (vgl.: Felix Stalder: Schwärme - Anonymous und die Rebellion im Netz).


Das Video eines Mitwirkenden zeigt deutlich die Grundgedanken des Kollektivs auf.

Trotz der als rein horizontal dargestellten Struktur des Kollektivs scheint es Hierarchien innerhalb der Schwärme zu geben. Bestimmte Führungspersönlichkeiten, bekannte Hacker und Aktivisten treten die Aktionen los und organisieren die Operationen. Es ist auch nicht verwunderlich, dass sich im Lauf der Jahre Splittergruppen bildeten wie jene, die den Angriff auf Sony durchführte.

In der gesamten Netzgemeinde wird immer wieder harte Kritik am System von Anonymous und am Kollektiv selbst geäußert. Für viele vor allem altbekannte Hacker wird das Eingreifen des Kollektivs als unprofessionell und wirkungslos beschrieben, während sich im Gegenzug immer mehr User mit der Ideologie von Anonymous identifizieren.

Legitimation

Ihre ideologische Legitimation bezieht ein Großteil des Kollektivs aus der „Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace“ von John Perry Barlow aus dem Jahr 1996.
„Regierungen der Industriellen Welt, ihr müden Riesen aus Fleisch und Stahl, ich komme aus dem Cyberspace, dem neuen Zuhause des Geistes. Als Vertreter der Zukunft bitte ich euch aus der Vergangenheit, uns in Ruhe zu lassen. Ihr seid nicht willkommen unter uns. Ihr habt keine Souveränität, wo wir uns versammeln.“ (John Perry Barlow: A Declaration of the Independence of Cyberspace, Davos 1996)
Diese Erklärung im Gesamten betont den grundsätzlich demokratischen Charakter des Internets, welcher durch den Wandel ins Web 2.0 nur weiter verstärkt wurde. Gleichzeitig zeigt der Text die Grundprinzipien des Kollektivs auf: Spontanität, Anonymität, Unverbindlichkeit (vgl. Wikipedia.org: Anonymous (Kollektiv)/ "Die Maske, die Ziele, das Manifest - Anonymous, Marke des Widerstands").

Anonymität
Die Idee braucht keine Gesichter.“
(Carolin Wiedemann: Wehe dem, der die Maske fallen lässt)
Anonymous emblem
By Kephir at English Wikipedia
[Public domain], via Wikimedia Commons
Kernelement des Kollektivs ist die Anonymität. Anonymous hat kein Gesicht, was durch ihr Logo verdeutlicht wird. Jeder Mensch ist gleich, jeder Mitwirkende hat dieselben Rechte. Dementsprechend wird penibel auf die Anonymität der Mitwirkenden geachtet. Wer sich outet, wird geächtet, wie die Geschichte des Internetaktivisten Barett Brown beweist, der nach seinem Schritt in die Öffentlichkeit selbst in die Schusslinie des Kollektivs geriet.
"Wer sich als Anonymous vor die Medien stellt, hat nicht verstanden, um was es geht." (Mercedes Haefer; zit. nach: Carolin Wiedemann: Wehe dem, der die Maske fallen lässt)
Das stellt die vom FBI enttarnte Anonymous-Aktivistin Mercedes Haefer fest. Auf der Website des Anonymous Kollektivs du-bist-anonymous.de werden den Anwärtern zahlreiche Tipps gegeben, wie die Identität im Internet verschleiert werden kann. Die Wege führen hierbei ins so genannte Dark oder auch Deep Web (mehr dazu hier und hier).

Wer sich zum Gesicht der Bewegung macht, zieht den Zorn der anderen Aktivisten auf sich. Doch wer steckt hinter den Aktivisten? Laut Anonymous selbst sind Mitwirkende in allen Gesellschafts- und Altersschichten anzutreffen. Die Anthropologin Gabriella Coleman bezweifelt sogar, dass der Großteil der Aktivisten wirkliche Hacker sind. Viel eher seien diese technisch versierter als der normale Bürger, aber keinesfalls im Stande dazu zu programmieren (vgl. Anthropologin über Anonymous Aktivisten "Es geht um das Bekenntnis zu LULZ").

Man könnte die Aktivsten auch der Gruppe der „Hacktivisten“ zuordnen. Der Begriff bezeichnet Aktivisten, die mit Hilfe von digitalen Tools und dem Internet auf Missstände in Politik und  Gesellschaft aufmerksam machen. Eine moderne Version der Sitzblockade, in welcher Internetseiten, E-Mail-Adressen oder Social Media-Accounts attackiert und somit blockiert und überflutet werden.

Herkömmliche Attacken auf Server, wie im Falle der Operation „Payback“, können durch alle Beteiligten mit Hilfe von Programmen wie beispielsweise LOIC einfach durchgeführt werden, die dauerhaft Anfragen an Webseiten schicken. Diese Flut an Anfragen, die den Server blockieren und letzten Endes zusammenbrechen lassen, nennt sich „Distributed Denial-of-Service“ oder auch kurz DDoS-Attacke (vgl. Franziska Schwarz in: "Netzlexikon": H wie Hacktivismus).

Die Menge der Personen, die dieses Programm zur Attacke verwenden, ist also ausschlaggebend. Das Individuum verschmilzt mit der Masse, der Einzelne wird zum großen Kollektiv Anonymous und bleibt bedeckt. Wer sich der Öffentlichkeit stellt, tut dies nur im Netz unter seinem Pseudonym.

Ziele

Welche Ziele verfolgt das Kollektiv? Glaubt man der Selbstbeschreibung der Aktivisten, so ist es der Schutz der Meinungsfreiheit. Ein vermeintlicher Aktivist eröffnet in einem Internetforum seine „Aufklärung über unsere Ziele“. Laut diesem sind die Ziele, zurückzuführen auf die lose Organisationsstruktur, nicht eindeutig zu bestimmen.
Für eine gute Sache
("anon_dagger" auf forum.golem.de: Aufklärung über unsere Ziele)
Dieser Satz bildet die allgemein bleibende Erklärung über die Ziele. Es scheint, als würden sich die Aktivisten in der Online-Welt als Antihelden und Bürgerwehr sehen, die für Gerechtigkeit kämpft. Eine Art selbst geschaffene Kontrollinstanz, die sich nicht scheut, mit dem Säbel zu rasseln, um Menschenrechte zu wahren und freien Zugang zu Informationen zu verteidigen.

Klar ist, dass viele der populären Operationen, die vom Schwarm durchgeführt wurden, durchaus erstrebenswerte Ziele verfolgten, wie beispielsweise die Operation „Green Rights“, welche sich für den Naturschutz stark machte, die Operation „Turkey“, die den Kampf gegen die Zensur in der Türkei aufnahm, oder die bekannteste und erste Operation „Chantology“, in welcher Scientology angeprangert und angegriffen wurde.

Es fällt auf, dass man also keineswegs von einem großen gemeinsamen Ziel sprechen kann. Zwar wird aus den Operationen des Kollektivs deutlich, dass für die Freiheit gekämpft wird, jedoch beweisen andere Operationen, wie beispielsweise der Angriff auf das Unternehmen Sony, bei welchem Kreditkarteninformationen von 77 Millionen Playstation-Anwendern gestohlen wurden, durchaus das gefährliche Potential des Schwarms.

Die Struktur ohne feste Führung erschwert es also, feste Ziele zu formulieren. Vielmehr scheint es, als würde ein jeder Schwarm, als Teil des Ganzen, seine Ziele lose irgendwo im Rahmen des gemeinsamen Horizonts festlegen.

Timeline

Anonymous hat seit der Entstehung zahlreiche Angriffe auf verschiedene Institutionen, Firmen und Personen gestartet. Der erste und wohl bekannteste Angriff war jener auf Scientology im Jahr 2008. Charakteristisch für das Kollektiv ist die Veröffentlichung einer Videobotschaft über bekannte Video-Plattformen wie beispielsweise YouTube, in welcher Gründe und Ziele der Operationen genannt werden.

Im Folgenden werden nur wenige der zahlreichen Operationen des Kollektivs aufgelistet. Jedoch werden diesen Operationen die größte Bedeutung zugewiesen. Eine vollständige Liste der Operationen ist auf der Webseite der englischen Wikipedia zu lesen.

Januar 2008

Die Identität „Anonymous“ wird zum ersten Mal von einer Gruppe von Hackern verwendet, um eine Kampagne gegen Scientology ins Leben zu rufen.

Dieses Video von Anonymous-Aktivisten erklärt die Gründe und Absichten der Kampagne.
Weiterhin wird die Zerstörung von Scientology angekündigt.

„Hallo, Führer von Scientology. Wir sind Anonymus. Wir haben euch über Jahre beobachtet. Wir haben eure Desinformationskampagnen, eure Unterdrückung von Abweichlern, eure Klagewellen, alle diese Dinge haben wir beobachtet, sie sind uns aufgefallen. Anonymus hat daher entschieden, dass eure Organisation zerschlagen wird. Für eure Anhänger, für die Menschheit, für den Spaß daran.“ ("Unbekannte Revolutionäre - Die Anonymous- Bewegung" auf SWR2 Wissen).
Kurz nach der Veröffentlichung des Videos und ausführlicher Koordination der Aktivisten folgte der Online-Aktion am 18. Februar 2008 ein globaler Aktionstag, an welchem Aktivisten aus mehr als 90 Städten in verschiedenen Ländern öffentlich protestierten. Hier fanden auch zum ersten Mal die dem Comic-Helden Guy Fawkes nachempfundenen Masken Verwendung. Dies geschah zunächst weniger aus Gründen der kollektiven Identität, sondern viel mehr, um sich vor Racheaktionen seitens Scientology zu schützen. Oft wird dieser Tag als Grundstein zur Festigung des Kollektivs gesehen (vgl. Chanology-wiki.info).

Dezember 2010

Nachdem die Unternehmen Visa und Mastercard die Konten von WikiLeaks sperrten und somit von Spenden abschnitten, attackierte Anonymous in der Operation Payback die Server der Kreditkartenfirmen und legt diese damit lahm. Bekannt wurde dieser Angriff auch unter dem Namen „Operation Payback“. Felix Stalder, Dozent für Digitale Kultur und Theorien der Vernetzung an der Universität Zürich, schreibt dieser Aktion eine zunehmende Politisierung von Anonymous zu (vgl. Felix Stalder: Schwärme - Anonymous und die Rebellion im Netz / "Das A- Team der Hacker Szene - Das Anonymous-Prinzip").


Eines der vielen Videos, die zur Operation "Payback" von Anonymous veröffentlicht wurden.

Januar 2011

Um auf die Zensur während der arabischen Revolution aufmerksam zu machen, attackierte Anonymous die Webseite der tunesischen Regierung. Die Operation wurde unter dem Namen Operation „Tunisia“ bekannt.

Die Anzahl der Klicks beweist die Wirksamkeit und Verbreitung der Botschaften.

Auf ihrer offiziellen Webseite, welche zurzeit offline ist, gab das Kollektiv damals bekannt:
„Die tunesische Regierung will die Gegenwart mit Lügen und Fehlinformationen kontrollieren, um die Zukunft zu schreiben, die den Bürgern die Wahrheit vorenthält. Wir werden das nicht stillschweigend hinnehmen! Anonymous hat den Ruf nach Freiheit der tunesischen Bürger gehört. Anonymous ist bereit, die tunesische Bevölkerung von der Unterdrückung zu befreien. Und wir werden es auch tun! Jede an der Zensur beteiligte Organisation wird ins Visier genommen! Wir geben solange nicht Ruhe, bis die Redefreiheit in Tunesien gesichert ist!“ (Philibuster - "Operation Tunesien gestartet") 

Juni 2011

Die Anonymous-Splittergruppe "LulzSec" verschaffte sich Zugriff auf die Website von SonyPictures und zeigte, dass sie so Überblick und Zugriff auf über 1 Million Kredit- und privater Kundendaten hat. Eine weitere Splittergruppe stahl 77 Millionen Kreditkartendaten von Playstation 3-Nutzern.

Nach einem Gerichtsverfahren gegen Georg Hotz und Alexander Egorenkov, die vermutlich den Kopierschutz des Betriebssystem der Playstation 3 umgangen und geknackt haben sollen, rief Anonymous zu einem Angriff auf Sony auf. Die Webseiten des Unternehmens waren aufgrund der Angriffe der Aktivisten für eine gewisse Zeit nicht erreichbar.

Während der Großteil des Schwarms den Angriff damit als beendet ansah, beschäftigte sich die Splittergruppe „sonyrecon“ damit, wichtige Daten über hochrangige Mitarbeiter des Unternehmens, deren Familien und die im Fall des umgangenen Kopierschutzes beteiligten Richter und Anwälte zu sammeln und zu veröffentlichen. Weiterhin wurden die Personen laut dem Magazin "PlayStationLifeStyle" in ihrem persönlichen sowie geschäftlichen Umfeld diskreditiert (vgl. Hartmut Gieselmann: "Anonymous nimmt Sony ins Visier [2. Update]").

Konkreter Vorwurf an das Unternehmen: Das Unterdrücken von Besitz- und Informationsrechten der Benutzer. Die Veröffentlichung der privaten Daten der hochrangigen Mitglieder des Unternehmens wurde selbst von einigen Aktivisten des Kollektivs scharf kritisiert.

August 2011

Anonymous rief durch Videos und Nachrichten im Internet zur Teilnahme an den Occupy Wall Street Protesten auf. Grund hierfür: Die Regierung unterdrücke die Rede- und Informationsfreiheit, statt das „organisierte Verbrechen“ an der Wall Street durch Spekulanten zu bestrafen. Weiterhin wurde zu einer Besetzung der Wall Street aufgerufen.
“It is obvious that the DoJ and other government entities such as the SEC think that it is more important for them to regulate freedom of speech and information rather than to regulate the blatant organized crimes of the financial market. They persecute people like us, Occupy, and Arron Swartz instead of the Bankers and Wall Street executives and CEOs who have robbed Americans of their hard earned tax dollars.” ("Operation Wall Street: Proposal and Declaration")
Anonymous prangerte den Lebensstil der Spekulanten, CEOs und aller am Finanzmarkt Beteiligten öffentlichkeitswirksam an und solidarisierte sich mit der Occupy-Bewegung. Obwohl es seitens einiger Aktivisten beider Bewegungen Vorbehalte gab, kam es nicht zum ersten Mal in deren Geschichte zu einem Schulterschluss. Im Oktober kam es im Namen von Anonymous zu einer Veröffentlichung von über 600 Megabyte privater Daten der „International Association of Chiefs of Police“ (vgl. Ole Reissmann, Christian Stöcker, Konrad Lischka: "Anonymous und Occupy - Hinter der Maske").

Dezember 2011

Operation Blitzkrieg: Anonymous legte die Internetseite der NPD lahm, veröffentlichte auf einer Webseite mit dem Namen „NaziLeaks“ Kontaktdaten von Neonazi-Anhängern und stellte diese so öffentlich an den Pranger. Mittlerweile ist diese Seite nicht mehr zu erreichen. Die Operation traf aber nicht nur auf Zustimmung im Kollektiv.

So wurde in internen Foren wie beispielsweise anonpedia.net durchaus darüber diskutiert, ob eine solche Operation die Meinungsfreiheit im Internet, die durch das Kollektiv gerade verteidigt werden sollte, nicht unterdrückt würde (vgl. Martin Pfaffenzeller: Anonymous-Operation "OPBlitzkrieg" - Netzaktivisten legen mehrere NPD-Seiten lahm").



Dezember 2011

Die Operation Stratfor startete: Anonymous - genauer der Hacker Jeremy Hammond - soll angeblich die Webseite des Nachrichtendienstes Strategic Forecasting, kurz Stratfor, gehackt haben. Das Unternehmen gilt als Schatten-CIA. Die Splittergruppe „Antisec“ stahl mehr als 200 Gigabyte an Daten und schickte diese weiter an Wikileaks. Ein Teil wurde unter dem Namen „Global Intelligence Files“ veröffentlicht. Zunächst scheint die Operation ungerechtfertigt, bis im Februar des folgenden Jahres Wikileaks E-Mails veröffentlichte, die die illegale Vorgehensweise des Nachrichtendienstes beweisen sollen (vgl. Carsten Volkery: Stratfor-Hack: WikiLeaks blamiert die "Schatten-CIA" / "Anonymous - Zehn Jahre Haft für Stratfor-Hacker Hammond").

Januar 2015

Die Operation Charlie Hebdo wurde vom Kollektiv ausgerufen. Der Angriff auf die Meinungsfreiheit durch Terroristen, die am 7. Januar 2015 ein grausames Blutbad anrichteten, ging durch die Medien. Das Kollektiv erklärte daraufhin dem so genannten Islamischen Staat (IS) und der Terrororganisation Al-Quaeda den Krieg und griff mehrere Internetseiten sowie die Profile mehrerer vermeintlicher Unterstützer an, die etwas mit dem IS zu tun haben sollen.

Februar 2015

Die Operation „Ice ISIS“ startete. Anonymous beschuldigt die Terroristen des IS als „Mörder und Gangster“ und will durch die Operation verdeutlichen, dass der IS nichts mit dem Islam zu tun hat. Inhalt der Operation sind mehrere Videos und Warnungen an alle Unterstützer. Mit dieser Operation trat das Kollektiv einen weltweiten Angriff auf die Terrororganisation los, dem sich verschiedene Aktivisten, aber auch andere Gruppen anschlossen. Es wurden Listen von gehackten islamistischen Twitter- und Facebook-Accounts veröffentlicht, die mehrmals aktualisiert wurden.

Auch diese Operation traf nicht nur auf Zustimmung in den eigenen Reihen. Seitens einiger Aktivisten wird die Effektivität einer solchen Operation kritisiert. Eine Organisation, die es schafft, trotz Geheimdiensten und Überwachung Anschläge auf der ganzen Welt zu planen und durchzuführen, sei kaum über das Hacken einiger Accounts oder den Angriff auf Webseiten zu stoppen. Vor allem wurde kritisiert, dass es dem Kollektiv nur um die Aufmerksamkeit der Medien gehen würde (vgl. "Anonymous: "ISIS sind Gangster und Mörder, ähnlich wie der Ku-Klux-Klan" / "Anonymous erklärt dem IS den Krieg" / "Wie Hacker die IS-Propaganda ausschalten wollen").

Über 1 Million Klicks hat diese Botschaft des Kollektivs, in demBeweggründe für die Operation "Ice ISIS" bekanntgegeben werden

Wie gefährlich ist Anonymous und kann man von Terrorismus sprechen?

Trotz der Proteste im Rahmen der Operation "Chantology" hält sich der physische Schaden, der vom Kollektiv angerichtet wird, in Grenzen. Viel eher fügen sie den Angriffszielen finanziellen Schaden zu. Zu berücksichtigen ist auch, dass durch das Veröffentlichen privater Daten und Listen sowie Accounts Persönlichkeitsrechte verletzt werden. Trotz dieser in Deutschland verbotenen Taktiken und Handlungsweisen wäre es nicht angemessen, die Aktivisten als Terroristen zu bezeichnen.

Das Kollektiv wird häufig von den Medien überschätzt, da detaillierte Informationen über Anonymous rar sind. Es scheint viel mehr die Angst vor dem Unbekannten zu sein, die diese Furcht vor dem Kollektiv schürt. In Wahrheit provoziert die lose, anarchische Struktur immer wieder ein Auseinanderfallen und Neuzusammensetzen des Schwarms durch nicht einheitlich vereinbarte Ziele.

Zwar mögen einzelne Splittergruppen durchaus effektiv sein, die Anzahl derer, die in der Lage dazu sind, wirkliche Straftaten beispielsweise durch den Diebstahl von Daten zu begehen, ist im Vergleich jedoch gering. Dazu kommt, dass im Lauf der letzten Jahre wichtige Schlüsselpersonen des Kollektivs enttarnt und festgenommen wurden.

Dennoch ist das Kollektiv nicht zu unterschätzen. Zu den teilweise fast heldenhaft anmutenden Erfolgen kommt hinzu, dass Anonymous in der Öffentlichkeit häufig als eine Art Robin Hood des Cyberspace wahrgenommen und heroisiert wird. 

Fazit

Wer und was ist also "Anonymous"? Anonymous ist ein in Schwärmen agierendes Kollektiv, dass sich dem Schutz der Meinungsfreiheit und dem freien Zugang zu Information sowie vielen weiteren individuellen Zielen verschrieben hat. Anonymous ist eine globale Protestbewegung. Die Macht und Rolle, die ein solches Kollektiv auf die Politik und die Gesellschaft haben kann, hat Anonymous durch verschiedenste Operationen in der Vergangenheit eindrucksvoll demonstriert. Nicht zuletzt auch durch ihre nicht unerhebliche Rolle im arabischen Frühling.

Sie sind Netzaktivisten, nutzen also das Internet als Medium und Mittel, Protest auszudrücken (vgl. John Horvath: Netzprotest. Ein Mittel zum Zweck), scheuen sich aber nicht davor, auch illegale Mittel zu benutzen. Obwohl das Kollektiv selbst abstreitet, politisch zu sein, ist der Einfluss auf die Gesellschaft nicht zu unterschätzen, unterstützt es doch trotz der klar anti-institutionellen Position die Demokratisierung des Cyberspace.

Literatur

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